Es war relativ spontan und kurzfristig, als ich beschloss, im Mai letzten Jahres nach Portugal zu fliegen. Der Wunsch danach schlummerte schon länger in mir und fest stand, dass ich allein dorthin reisen würde. Wieder allein. Es war mein erstes Mal Portugal, aber das Reisen auf eigene Faust kannte ich bereits durch meine Zeit in Australien nach dem Abitur. Abgesehen von der Fahrt zum Flughafen war ich dort jedoch keine Minute wirklich allein, da ich sehr schnell Reisepartner fand und unsere Wege sich so schnell nicht trennten.
Diesmal war ich wirklich allein – und das sollte auch so bleiben. Anders als mit 19 Jahren, kontaktfreudig und immer auf der Suche nach Spaß, war ich jetzt mit 26 vor allem auf der Suche nach Zeit für mich. An einem Abend im März entschied ich, wie und vor allem wo ich sieben Tage in diesem Jahr verbringen würde: in Portugal! Ich war nie jemand, der ununterbrochene Reiselust verspürte oder nächtelang von Stränden in fremden Ländern träumte. Nein, ich hatte nicht einmal die entfernteste Ahnung, wo mein Backpack war. Er wurde direkt nach meiner Rückkehr aus Australien irgendwo verstaut, um bloß nicht allzu schnell wieder das Fernweh in mir zu entzünden. Erfolgreich!
„Wo wolltest du schon immer mal hin?“
… wurde ich gefragt und aus mir schoss „Nach Portugal!“ schneller heraus als ich denken konnte und überraschte mich damit selbst. Nach Gesprächen mit Bekannten und Freunden, die bereits dort waren, erfuhr ich von den schönsten Gegenden und was „man dort unbedingt gesehen“ haben muss. Als ich mir sicher war, welche Region Portugals ich besuchen würde, suchte ich nach Unterkünften vor Ort und fand ein nettes kleines Zimmer mit eigenem Bad. Es gehörte zu einem Einfamilienhaus, das in einem winzigen Ort namens Burgau an der Algarve lag.
Es war ein Mittwoch, als meine Füße das allererste Mal den Boden Portugals berührten. Ich hatte mir einen Mietwagen genommen, doch bis zur Abholung dauerte es eine Weile. Und so kam es, dass ich mich zwischen wild diskutierenden Franzosen und Engländern wiederfand, die wie ich alle auf ihr Auto warteten. Dort fiel mir zum ersten Mal auf, wie allein ich jetzt war. Was zur Hölle wollte ich hier?
Und plötzlich fing ich an, sämtliche Menschen aus meinem privaten Umfeld zu beneiden, die ihrem normalen Alltag nachgehen durften. Ich wünschte mir wie selten zuvor, ich dürfte jetzt einfach arbeiten gehen – so wie immer. Doch keine Chance. Schon bald sollte es soweit sein, dass ich in meinem Mietauto saß und dieses mit zitternden Knien und verkrampften Händen am Lenkrad auf die portugiesischen Straßen lenkte.
Mit dem Mietwagen an die Algarve
Dieses Gefühl der Freiheit – unbeschreiblich. Mir stiegen Tränen in die Augen und ich sang lauthals und hemmungslos (und vor allem sprachlich völlig unbegabt) portugiesische Lieder im Radio mit. Ich fuhr leiblich und wahrhaftig auf den Straßen eines mir unbekannten Landes zu einem Haus und einer Familie, die mir nicht fremder hätte sein können. Aber ich war glücklich und zuversichtlich. Angst oder Bedenken hatte ich keine.
Und so kam es wie es kommen musste. Mir sollte für die nächsten sieben Tage ein Zimmer, unweit eines wunderschönen kleinen Strandes gehören. Und zu meinem Glück war das Dorf, in dem ich wohnte, genau so wie man es sich vorstellt: Winzig, mit verschachtelter Straßenführung, einem Stadtstrand und mit Dorfbewohnern, die auf Plastikstühlen auf dem Gehweg saßen. Herrlich.
Der erste Abend verging wie im Flug und rückblickend auch die gesamte Woche. Doch so schön das alles klingen mag… auch ich hatte Tage, an denen ich struggelte. Mit mir selbst, mit meinen Entscheidungen und vor allem hatte ich die Zeit, all das ausführlich zu hinterfragen. Zeit mit sich allein ist nicht immer einfach.
Ich liebte es, in meinem eigenen Auto durch die Gegend zu düsen, unbekannte Umgebungen zu erkunden, verliebte mich in einen Ort namens Sagres: der südwestlichste Ort Europas, so wild und noch unbeugsam gegenüber touristischem Einfluss. Ich liebte das Wetter. Im Mai hatte ich noch Temperaturen um die 25 Grad, den Wind, das Meer und den Strand, besonders abends, wenn ich ihn mit niemand anderem mehr teilen musste.
Doch manchmal kam ich irgendwann nach Hause in mein kleines Zimmer, in dem nur ein Wasserkocher, ein kleiner Kühlschrank und ein Bett auf mich warteten und war dann sehr froh, dass es Erfindungen wie Netflix gibt. Auch, wenn ich mir schwor, niemandem zu erzählen, dass ich Abende mit Serien gucken verbracht habe, weil man das ja im Urlaub eigentlich nicht macht. Doch, ich muss sagen, ich ließ es zu, dass Netflix mir bei einigen einsamen Momenten beistehen durfte.
Natürlich nutzte ich die Zeit auch vor Ort. Schnell merkte ich, wo es mir besonders gefiel und so fuhr ich zum Beispiel allein drei Tage hintereinander nach Sagres, obwohl der Ort eine Stunde Fahrzeit von Burgau entfernt war. Ich ging wandern, schwamm im eiskalten Atlantik und abends schlenderte ich durch die Straßen von Lagos, dem nächstgrößeren Ort. Ich schlenderte so lange bis es dämmrig wurde und ich mich plötzlich nicht mehr wohl fühlte.
Meine Wege wurden häufig von lauten Gruppen Jugendlicher gekreuzt, deren Sprache ich nicht verstand (lag eventuell an meinen schlechten portugiesischen Kenntnissen), und ich musste mir eingestehen, dass ich wirklich dringend nach Hause wollte, was ich dann auch tat. Ich sprach mit einer Freundin darüber, die gerade von einer Weltreise wiedergekommen war und sie bestätigte mir, dass sie diese Momente auch kannte, obwohl sie ein sehr weltoffener und unvoreingenommener Mensch ist.
Ich hatte noch ein weiteres Problem, das ich mit ihr besprechen wollte. Allein außerhalb essen. Eine Sache, die mir in Deutschland nicht einfallen würde. Allein essen, das tun doch nur merkwürdige Leute, die keine Freunde haben – und das wahrscheinlich aus einem triftigen Grund. Und irgendwie schien sich diese Meinung zu bewahrheiten, denn auch ich musste allein essen, und auch ich hatte in Portugal keine Freunde.
Meine Freundin gab mir den Tipp, mich für den Anfang mit einem Buch ins Lokal zu setzen (natürlich nur zur Show, denn eigentlich beobachtet man die Menschen und das Straßengeschehen). Das tat ich auch und es funktionierte erstaunlich gut. Ich war sehr stolz darauf, mich überwunden zu haben und wünschte, ich hätte das Selbstbewusstsein, dasselbe auch in Deutschland zu tun, denn insgeheim bewundere ich diese Menschen, die hier allein im Lokal sitzen.
Die Zeit verging und ich ließ zu, dass Portugal und seine Menschen mein Herz eroberten. Ich schwärmte jedem – ob er es hören wollte oder nicht – vor, wie schön es hier sei, wo ich gerade war und ich wollte mit Niemandem mehr tauschen. Ich fühlte mich so erwachsen und selbstsicher wie lange nicht mehr, weil ich jetzt wusste, dass ich ganz allein auf mich aufpassen kann, Verantwortung für mich und mein Handeln übernehme und ich niemanden eine Rechenschaft schuldig bin. Oh ja, ich liebte es.
Und ich würde wiederkommen, das schwor ich mir. Meine nächste Reise wird nach Lissabon gehen. Von dort geht es dann gen Norden nach Nazaré. Ein Traum für alle, die das Surfen lieben und bewundern, denn dort kommt es vor, dass die Wellen bis zu 25 Meter hoch werden. Ich freue mich drauf!
Reisen bedeutet für mich Freiheit und Selbstverwirklichung. Nie war es so einfach wie heute, sich ins Auto, Flugzeug oder aufs Fahrrad zu schwingen und loszudüsen, um die Welt zu entdecken oder seinen Lebensmittelpunkt auf einen anderen Kontinent zu verlagern - wie z. B. meine Großeltern, die nach Fuerteventura auswanderten, die ich jedes Jahr dort besuche. Die Reisefreiheit ermöglichte es mir, nach dem Abi allein nach Australien zu fliegen und brachte mich auf den Geschmack des Alleinreisens. Mein Zuhause ist in Berlin, kann aber auch überall anders auf der Welt sein.